Mittwoch, 14. Mai 2008

Meinungsfreiheit á la Erdogan

Der türkische Ministerpräsident Erdogan gebiert sich in Europa gerne als Hüter der Meinungsfreiheit.

Wie er es in seiner Heimat damit hält, belegt ein heute bekannt gewordener Zwischenfall in Antalya. Bei einem Besuch des Ministerpräsidenten in Antalya am 11. Mai hat der im Tourismus-Sektor arbeitende 46-jährige Ertuğrul Sağlam mit harmlosen Aussagen wie "Die neue Rentenverordnung wird unsere Verarmung bedeuten und sie sind schuld daran" gegen den Politiker protestiert.

Draufhin hätten Erdogans Leibwächter ihn umstellt, ihm die Augen verbunden und ihn in ein ziviles Polizeiauto gezerrt. Dort hätte man ihm einen Sack über den Kopf gestülpt und ihn während einer 20-minütigen Fahrt mehrfach beleidgt und verprügelt. Die Leibwächter hätten damit gedroht, ihm Waffen und Heroin unterzuschmuggeln und ihn am Strasserand "abzuknallen". Als man ihn schließlich aus dem Auto warf, hätte man ihm noch einmal gedroht, ihn jederzeit ausfindig machen zu können.

Der Betroffene Ertuğrul Sağlam hat sich das Kennzeichen des Dienstwagens merken können. Wie die Generaldirektion für Sicherheitsfragen mitteilte, werde das Fahrzeug mit dem Kennzeichen 06 VAC 07 tatsächlich von der Leibgarde des Ministerpräsidenten genutzt. Das Pressebüro des Ministerpräsidenten ließ am heutigen Tag eine Pressemitteilungen veröffentlichen, in der von einseitigen und voreingenommenen Berichterstattungen gesprochen wird. Sağlam hat seine Verletzungen attestieren lassen und beim Staatsanwalt Anzeige erstattet. Der türkische Menschenrechtsverein forderte unterdessen den Rücktritt Erdogans.

Dies war jedoch nicht der erste "Ausrutscher" türkischer Personenschützer:
  • Der in Mersin vom Ministerpräsidenten mit den Worten "Nimm deine Mutter und hau ab!" bedachte Bauer Kemal Öncel wurde nach diesem Vorfall ebenfalls in ein Auto gezerrt und verprügelt. Er ließ sich seine Verletzungen im Krankenhaus attestieren und erstattete Anzeige. Wie sich später herausstellte zog er seine Anzeige zurück, nachdem Erdogan ihm einen persönlichen Besuch abstattete. Ob er ihn dabei um Entschuldigung bat oder selber verprügelte ist nicht bekannt...

  • Als Erdogan am 29. August 2005 von seinem Haus in Istanbul-Üsküdar zum Flughafen Atatürk auf der Stadtautobahn E-5 unterwegs war, machte ein Sammeltaxi nicht schnell genug Platz für seinen Konvoi. Der Fahrer Ayhan Özgür wurde aus seinem Sammeltaxi gezerrt und von Erdogans Leibwächtern verprügelt.

  • Der Neffe Erdogans Ali Erdogan, der gleichzeitig sein Leibwächter ist, hat im Rahmen der Gedenkfeier für Ertuğrul Gazi in Söğüt hinter den Kulissen Streit mit Anhängern der MHP angefangen, was schließlich in eine Massenschlägerei ausartete.

  • Während der Spanien-Reise des Ministerpräsidenten gab es handfesten Streit der Leibwächter mit spanischen Scherheitskräften.

  • Während der Reise des Ministerpräsidenten in die Provinz Niğde hielten seine Leibwächter einen Kleinbus an, der Journalisten transportierte, die über die Reise berichten wollten. Dem Fahrer wurde eine Waffe unter die Nase gehalten, verbunden mit der Aufforderung, Erdogan nicht zu folgen.

  • Die Leibwächter der Gattin Erdogans, Emine Erdogan, haben zwei Reporter des Fernsehsenders NTV mit Waffen bedroht, als diese die "Second Lady" filmen wollten.

  • Während des Türkeibesuchs des israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert kam es zwischen den Leibwächtern der beiden Regierungschefs zu handfesten Reibereien. Die türkischen Personenschützer sagten, sie wollten sich für die schlechte Behandlung, die sie bei einem Besuch Erdogans in der Al-Aqsa-Moschee erfahren hätten, revanchieren.

1 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Wenn man das so liest, wird mir himmelangst. Ich dachte immer, ich lebe in der Türkei und nicht in Chile.

Gruss von der Bikiniküste
Margot