Donnerstag, 8. Januar 2009

Ethnomarketing (II)

Migranten, ob türkischer, russischer oder anderer Herkunft, wurden in Deutschland lange Zeit als zahlungskräftige Konsumenten ignoriert. Ethnomarketing, d.h. die gezielte werbliche Ansprache dieser Kunden unter Berücksichtigung ihrer sprachlichen und kulturellen Eigenheiten, wird in Deutschland erst seit den 1980er Jahren praktiziert. Die Pionierarbeit leisteten Unternehmen wie Wüstenrot und Hamburg-Mannheimer, die die türkische Klientel mit türkischen Vertretern köderten. Ein weiterer Vorreiter des Ethnomarketing in Deutschland war der Pharmafabrikant Dr. Karl Thomae, der für sein Produkt „Finalgon“ die Bedürfnisse türkischer Fließbandarbeiter nach Schmerzsalben mit türkischsprachiger Werbung befriedigte.

Doch mit einem Mal geht ein regelrechter Ethnomarketing-Boom durch Deutschland. Seit einiger Zeit gibt es immer mehr national und multinational operierende namhafte Unternehmen, die das Instrument Ethnomarketing für sich entdecken. Ethnomarketing wird branchenübergreifend betrieben. Volkswagen, Daimler-Benz, die Postbank, die Deutsche Bank, die Hypovereinsbank, Vodafone, E-Plus mit seiner Tochter Ayyildiz, die Deutsche Telekom sowie die Bild-Zeitung sind hier die prominentesten Beispiele.

Parallel zu diesem Boom entsteht eine deutsch-türkische „Zulieferindustrie“, deren Protagonisten sich als vermeintliche Experten an der Schnittstelle inländischer Unternehmen und "ausländischer" Kunden positionieren wollen. Studenten verschiedener Fachrichtungen widmen sich in ihren Arbeiten diesem Thema. Unternehmen, die von Migranten der zweiten, dritten oder vierten Generation gegründet worden sind, verlagern den Schwerpunkt Ihrer Dienstleistungen auf das Gebiet des Ethnomarketing. Das schöne daran: alle sind vermeintliche Experten, die die Wünsche und Bedürfnisse Ihrer Zielgruppe bestens kennen.

Es geht sogar noch weiter. Mit einem Mal erhöht sich der Anteil der Mitarbeiter mit ausländischer Abstammung in vielen Unternehmen. Schöne heile Welt! Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten. Auf der einen Seite jene Unternehmen, die Ihren Gewinn durch „neue“ Kunden maximieren möchten oder Kunden mittel- bis langfristig an sich binden möchten. Auf der anderen Seite die pfiffigen Unternehmer mit Migrationshintergrund, die den Entscheidern der oben benannten Unternehmen entsprechende Budgets entlocken wollen. Und zu guter Letzt die Konsumenten, denen die Aufmerksamkeit der Unternehmen schmeichelt und deren Kaufentscheidung durch eben dieses Ethnomarketing beeinflusst wird. Schließlich werden sie im Autohaus, in der Bank oder in der Versicherung endlich in der türkischen Sprache umworben, vielleicht sogar bei einem Glas Tee.

Was ist mit den Akademikern und ausgebildeten jungen Erwerbstätigen türkischer Herkunft? Selbstverständlich erfüllen auch Sie eine wichtige Rolle in diesem Markt. Sie schließen die Lücke zwischen Unternehmen und Konsumenten. Sie bringen die Produkte an den Mann, und zwar idealerweise an den Landsmann. Ihre Existenzberechtigung leitet sich aus der Nachfrage der Konsumenten mit Migrationshintergrund ab und es entstehen Positionen, die es vorher nicht gegeben hat. In der Bank, der Versicherung, der Post, dem Autohaus, vielleicht irgendwann auch im Supermarkt oder der Tankstelle. Kurzum, im ganzen Land warten gut geschulte Verkäufer mit Migrationshintergrund auf Ihre Zielgruppe.

Doch wo führt diese Entwicklung hin? Setzt sich diese Entwicklung konsequent fort, haben die deutsch-türkischen Konsumenten in der Zukunft gar keinen Kontakt mehr zu Deutschen, da ihnen auf Schritt und Tritt Deutsch-Türken als Gesprächspartner vorgesetzt werden. Die politisch verpönte Parallelisierung der deutsch-türkischen Gesellschaft gilt unter diesen Bedingungen als ökonomisch opportun. Eine neue Generation deutsch-türkischer Gatekeeper wäre die Konsequenz. Künftige Erwerbstätige mit Migrationshintergrund wären dann nur noch für dementsprechende Aufgaben vorgesehen.

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