Dienstag, 29. Juli 2008

Neuer türkischer Luftschlag gegen die PKK im Nordirak

Der türkische Generalstab hat heute bekannt gegeben, dass Kampfflugzeuge Stellungen der PKK im nordirakischen Zap-Gebiet bombardiert haben.

So ließ die militärische Führung der Türkei auf ihrer Internetseite verlautbaren, dass türkische Kampfflugzeuge im Zap-Gebiet eine Höhle, die von der PKK als Unterschlupf genutzt worden sei, bombardiert und zum Einsturz gebracht hätten. Dabei sei auch eine Gruppe von 35 bis 40 Terroristen, die sich nicht in der Höhle befunden hätten, "unschädlich" gemacht worden. Nach der Entführung der drei Deutschen am Berg Ararat intensiviert die türtkische Armee ihre militärischen Bemühungen. In einer vorgestern verbreiteten Erklärung des Generalstabs, die ebenfalls über dessen Internetseite lanciert wurde, hieß es, dass der Kampf gegen den Terrorismus nach "militärischen Gesichtspunkten und Erfordernissen" weitergeführt werde.

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Ergenekon, Teil 2

Dieser Beitrag behandelt das zweite Ergenekon der türkischen republikanischen Geschichte. Ausgelöst wurden die Spekulationen über den "Staat im Staat" durch einen folgenschweren Verkehrsunfall in Susurluk.

Am 03. November 1996 fand man nach einem Verkehrsunfall nahe des Ortes Susurluk, der bei Balıkesir ca. 150 km südlich von Istanbul liegt, im Wrack eines Mercedes die sterblichen Überreste dreier Personen. Dies waren die Leichen von Hüseyin Kocadağ, dem ehemaligen Kommandeur der türkischen Antiguerilla-Einheiten, Abdullah Çatlı, einer schillernden Figur der türkischen Unterwelt, der vom Drogenhandel und Mord bis zum Papst-Attentat 1981 in viele Skandale verwickelt war und zu besagtem Zeitpunkt in der Türkei steckbrieflich gesucht wurde, sowie von Gonca Us, einer früheren Schönheitskönigin und zwischenzeitlichen Freundin Çatlıs. Der einzige Überlebende des Unfalls, Sedat Bucak, ist ein kurdischer Clan-Chef, Feudalherr und Warlord, dessen Einheiten auf Seiten des Staates gegen die PKK kämpften.

Entgegen den anfänglichen Beteuerungen der Polizei, es habe sich um den Versuch einer Überstellung zweier Kleinkrimineller gehandelt, wurden die wahren Dimensionen dieses Vorfalls schnell deutlich. Çatlı trug nicht nur sechs Ausweise mit sich, die auf verschiedene Namen ausgestellt waren, sondern auch von staatlichen Stellen ausgestellte diplomatische Papiere, Waffenscheine - sowie natürlich die dazugehörigen Waffen. Dies alles legte den Verdacht nahe, dass Çatlı in Wirklichkeit kein gesuchter Krimineller, sondern vielmehr ein Vollstreckungsgehilfe des türkischen Staates sein musste. Als Folge kam es zum Rücktritt des Innenministers und einiger hochrangiger Vertreter der türkischen Sicherheitskräfte. Doch wer ist dieser Mann eigentlich?

Abdullah Çatlı stieg Ende der 1970er Jahre in die Führungsriege der Bozkurts, d.h. der „Grauen Wölfe“ (türk. boz/boza: grau, türk. kurt: Wolf) auf. Was die Hitlerjugend für die NSDAP, die FDJ für die SED waren, das und mehr sind die Bozkurts für die MHP. Es gibt reine Jugendkader, sowie ein unüberschaubares Geflecht von Vorfeldorganisationen, die sich der MHP, allein schon aufgrund personeller Überschneidungen, zurechnen lassen. 1978, auf dem bisherigen Höhepunkt seiner Karriere, musste Çatlı aufgrund seiner Verwicklung in die Ermordung von sieben jungen Aktivisten der türkischen Arbeiterpartei TIP (Türkiye Isçi Partisi), dies waren namentlich Latif Can, Efraim Ezgin, Hürcan Gürses, Osman Nuri Uzunlar, Serdar Alten, Faruk Ersan und Salih Gevenci, in die Illegalität abtauchen. Dieses Verbechen wird heutzutage nach dem Stadtteil von Ankara, in dem sich der Vorfall ereignete, als “Bahçelievler-Mord” bezeichnet. Für weltweite Schlagzeilen sorgten die Grauen Wölfe 1981, als Mehmet Ali Ağca, ein ehemals enger Komplize Çatlıs und bekennender Bozkurt, das Attentat auf Papst Johannes Paul II. verübte. In der anhängigen Gerichtsverhandlung gegen die an dem Attentat beteiligten vier Türken und drei Bulgaren gab Çatlı zeugenschaftlich zu Protokoll, dem Attentäter die Tatwaffe verschafft und ihm zuvor bei der Flucht aus dem Gefängnis geholfen zu haben, wo dieser wegen des Mordes an Abdi Ipekçi, dem Chefredakteur der Zeitung Milliyet, seine Strafe absaß.

Abdullah Çatlı, der inzwischen in der Schweiz im Gefängnis einsaß, konnte 1990 fliehen und sich in die Türkei absetzen. Trotz seiner kriminellen Vergangenheit wurde ihm von Seiten der Armee der Aufbau eines Killerkommandos übertragen, welches gegen Kurden und Linke eingesetzt werden sollte. Die Belege und Beweise für die offensichtliche Tolerierung von Drogenhändlern, Terroristen und schlichtheraus Mördern durch unterschiedliche türkische Regierungen fanden sich schließlich im Wrack des am 03. November 1996 verunglückten Mercedes. Der damals noch lebende MHP-Gründer Alparslan Türkeş ließ sich im Zusammenhang mit der „Susurluk-Affäre“ sogar zu folgender Aussage hinreißen: „Çatlı war Mitarbeiter einer geheimen Organisation, die dem Wohl des Staates diente.“ Die damalige Außenministerin Tansu Çiller pflichtete wie folgt bei: „Ich weiß nicht, ob er schuldig ist oder nicht, aber ich habe stets großen Respekt vor Menschen, die im Namen unseres Volkes, unserer Nation und unseres Staats in vorderster Front standen oder verwundet worden sind.“

Dass die Grauen Wölfe ferner Kontakte zur Drogenmafia unterhielten, wenn nicht sogar selbst zu den Akteuren in diesem Geschäft zählten, wurde vom italienischen Untersuchungsrichter Carlo Palermo eindeutig festgestellt. Dieser führte Anfang der 1980er Jahre Untersuchungen zum Drogen- und Waffenhandel zwischen Italien und Osteuropa durch. Dabei wurde klar, dass die Bozkurts Abuzer Uğurlu, dem Chef des türkischen Drogenkartells, als Mittelsmänner dienten. Palermo musste feststellen, dass Präzisionsfeuerwaffen aus NATO-Beständen von Westeuropa nach Osteuropa und weiter geschmuggelt wurden. Diese Güter wurden meistens mit Heroin bezahlt, für dessen sicheren Transport bis Italien die Bozkurts Verantwortung trugen. Von hier wurde das Rauschgift im großen Stil nach Westeuropa und vor allem nach Nordamerika weitergeleitet. Auch die staatliche bulgarische und von Geheimdienstagenten durchsetzte Firma Kintex mit Sitz in Sofia spielte eine wichtige Rolle in diesen Geschäftsbeziehungen, weswegen wiederholt Gerüchte über eine mögliche bulgarische, und somit von Moskau gelenkte Verschwörung gegen den Papst kursierten. Interessanterweise bediente sich die CIA der Firma Kintex, um die Contras in Nicaragua mit Waffen zu versorgen. Çatlı selber beschuldigte in der 1985 in Rom durchgeführten Gerichtsverhandlung den deutschen BND, ihn dahingehend manipuliert haben zu wollen, gegen ein entsprechend hohes Honorar den bulgarischen und sowjetischen Geheimdienst mit dem Attentat auf den Papst in Verbindung zu bringen. Melvin A. Goodman, ein früherer CIA-Mann, gab im Geheimdienstausschuss des US-Senats 1991 zu Protokoll, dass der CIA in dieser Sache über keinerlei Anhaltspunkte verfügte, die ganze Angelegenheit jedoch politisch opportun war. Die eigentliche Frage jedoch hätte vielmehr der Natur der Verbindung zwischen der CIA und den Bozkurts gelten müssen, denn diese waren nicht nur über die Firma Kintex miteinander in Verbindung zu bringen.

Zum Zeitpunkt des Attentats auf den Papst war Duane „Dewey“ Clarridge der Leiter der CIA-Außenstelle in Rom. Er war zuvor in Ankara stationiert, also zu einer Zeit, als die Grauen Wölfe in der Türkei ein Attentat nach dem anderen verübten. Diesen fielen tausende türkische und kurdische Linke zum Opfer. Die Grauen Wölfe verfügten damals über die Rückendeckung der bei der Abteilung für Sonderoperationen der türkischen Armee angesiedelten Antiguerilla-Zentrale. Die Organisation hatte ihr damaliges Hauptquartier in den Räumlichkeiten der amerikanischen Militärhilfe in Ankara (American Aid Delegation – JUSMATT) und profitierte von Mitteln aus dem amerikanisch-türkischen Militärhilfe-Fonds - und war das erste Ergenekon. Das eigentliche Ziel dieser an sich zivilen Einheiten, die in vielen europäischen Ländern erschaffen wurden - heute würde man sie wohl als „Terror-Zellen“ und ihre Mitglieder als „Schläfer“ bezeichnen - war es, im Fall einer sowjetischen Invasion als „Stay-Behind-Organisation“ mit gezielten Sabotageakten in Erscheinung zu treten. Die potentiellen Wächter der Freiheit entglitten ihren Oberen jedoch zusehends.

Der nächste Beitrag wird das erste Ergenekon behandeln, von dem soeben schon die Rede war.

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Ergenekon

Die türkische Öffentlichkeit ist zur Zeit Zeuge des vielleicht wichtigsten Gerichtsprozesses in der republikanischen Geschichte.

Den Angeklagten wird vorgeworfen, einer Organisation mit dem Namen Ergenekon anzugehören. In der republikanischen Geschichte taucht dieser Name somit drei Mal auf und bezeichnete jedes Mal eine Art „Staat im Staat“, ein unantastbares Gebilde, welches mit hoher Macht und Skrupellosigkeit agiert. Der Türkeimonitor wird sich dem Phänomen Ergenekon in einer Artikelserie zu nähern versuchen. Zunächst wird auf das zweite Ergenekon eingegangen werden, welches mit der „Susurluk-Affäre“ publik wurde.

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