Montag, 8. September 2008

Streit zwischen Erdogan und Dogan weitet sich aus

Die Zeitung Hürriyet beschäftigt sich seit geraumer Zeit mit dem vor dem Frankfurter Landgericht verhandelten Spendenskandal um den Verein "Deniz Feneri" ("Leuchtturm"). Die Zeitung hat kürzlich darauf hingewisen, dass in den von der Frankfurter Staatsanwaltschaft vorgelegten Akten auch der Name von Ministerpräsident Erdogan auftauche.

Nun hat Erdogan den Herausgeber der Hürriyet, Aydin Dogan, zu dessen Imperium unter anderem auch die Zeitungen Milliyet, Radikal, die Sender Kanal D und CNNTürk sowie die Nachrichtenagentur DHA gehören, beschuldigt, sich an ihm wegen einer nicht erhaltenen Baugenehmigung rächen zu wollen und bezeichnete Dogan als "ehrlos". So habe Dogan bei Erdogan um eine Baugenehmigung für die Fläche vor dem von Dogan erworbenen Hotel Hilton in Istanbul ersucht. Erdogan habe jedoch nichts für Dogan tun können. Zugleich kündigte Erdogan an, weitere Details zu veröffentlichen, die Dogans Ansehen erheblich Schaden könnten. Wenn er mit Schlamm beworfen werde, wisse er sich zu wehren, so der Ministerpräsident. Dogan hingegen behauptet, dass der Besuch bei Erdogan nicht wegen der Baugenehmigung vor dem Gelände des Hilton erfolgt sei. Vielmehr habe er an einem anderen Platz eine Raffinerie bauen wollen. Erdogan habe ihm jedoch mitgeteilt, dass die Calik-Holding, deren Geschäftsführer Erdogans Schwiegersohn ist, Ansprüche auf das von Dogan vorgeschlagenen Areal habe.

Da Erdogan jedoch nicht nur gegen Dogan, sondern gegen alle Medien wetterte, die von seiner angeblichen Verstrickung in den Spendenskandal berichten, sahen sich die beiden größten Journalistenverbände der Türkei mittlerweile genötigt, in Mitteilungen auf die immer akuter werdende Gefahr für die Presse- und Meinungsfreiheit hinzuweisen, die von Erdogans Attacken ausgehe. Der Verband türkischer Journalisten TGD bewertete die Aussagen Erdogans als Versuch, den Meinungspluralismus in der Türkei zu ersticken und wies auf das journalistische Berufsethos hin, wonach es die Pflicht eines Journalisten sei, Beeinflussungsversuchen zu widerstehen.

Der Vorsitzende des Verbands zeitgenössischer Journalisten CGD, Ahmet Abakay, sagte gegenüber Bianet, dass es die Pflicht Erdogans sei, das zu tun, was die Dogan Holding getan habe, nämlich sich an der Aufklärung des Falles zu beteiligen.

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"Man muss die Rhetorik von der realen Welt unterscheiden"

Der Botschafter a.D. Volkan Vural hat in einem Interview mit der Zeitung Taraf die Beziehungen zwischen der Türkei und Armenien bewertet. Vural gilt als einer der erfahrensten Diplomaten der Türkei. Während des Zusammenbruchs der Sowjetunion und der daraus folgenden Unabhängigkeit Armeniens war er türkischer Botschafter in Moskau, später türkischer Botschafter in Deutschland.

Den Besuch Güls in Armenien bewertet Vural insbesondere für den armenischen Staatspräsidenten als riskant. In Armenien herrsche eine Türkei-Neurose, und eine Einladung an einen türkischen Staatspräsidenten könne in Armenien einen hohen Preis kosten. Als Beispiel wies Vural auf den ehemaligen armenischen Präsidenten Ter Petrossian hin, der Beziehungen mit der Türkei aufnehmen und den Konflikt um Berg-Karabach lösen wollte. Dies habe ihn seine politische Karriere gekostet. Er glaube jedoch, dass ein Großteil der Armenier trotz aller Bedenken Beziehungen mit der Türkei wünschten und insbesondere die Öffnung der Grenze zur Türkei befürworteten.

Die "vergangenen Ereignisse", womit der armenische Vorwurf des Völkermords durch die Osmanen gemeint ist, seien nach Vurals Meinung jedoch nicht allein durch Historiker zu bewerten. Hier spielten vor allem politische und psychologische Faktoren eine Rolle. Schließlich sei es das Ziel, beiden Völkern die Möglichkeit zu geben, einander wieder mit aufrichtiger Zuneigung und Respekt zu begegnen. Dies könne man von der Geschichtswissenschaft jedoch nicht erwarten. Hier sei die Politik gefragt das zu bewerten, was Historiker zutage beförderten.

Auf die Frage, ob Güls Besuch der Anfang eines Normalisierungsprozesses zwischen der Türkei und Armenien sein könne, sagte Vural, dass er dies erwarte und erhoffe. Beide Staaten müssten nun zügig diplomatische Beziehungen aufnehmen, diplomatisches Personal in das jeweils andere Land entsenden, und schließlich den Grenzübergang Alican, der lediglich 15 km von Erwian entfernt ist, öffnen. Viele Türken vergäßen, dass die Türkei sich seit der Unabhängigkeit Armeniens in Kontakt mit armenischen Stellen befinde. Er sei der erste Botschafter gewesen, der Armenien nach dessen Unabhängigkeit besucht habe. Der Patriarch der türkisch-armenischen Christen Schinorhk Kalustian war während eines Besuchs in Eriwan verstorben. Vural habe dem damaligen armenischen Staatpräsidenten eine Nachricht überbracht, wonach der Partiarch türkischer Staatsbürger war, und der türkische Staat bei seiner Trauerfeier und seiner Überführung in die Türkei jegliche Hilfe zu leisten bereit sei. Er habe dies auf eigene Initiative getan, und gemeinsam mit seiner Ehefrau an der in Moskau statt findenden Trauerfeier teilgenommen.

Dass die Türkei nach dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion mit jedem Nachfolgetaat außer mit Armenien diplomatische Beziehungen aufnahm, empfand Vural als vertane Chance. Einige Kreise aus dem Auswärtigen Amt der Türkei hätten solche Bestrebungen, die der damalige Präsident Özal befürwortete, vereitelt. Die Unabhängigkeitserklärung Armeniens sowie dessen Verfassung seien diesen Kreisen ein willkommener Anlass zur Vernachlässigung der türkisch-armenischen Beziehungen gewesen. In diesen Dokumenten wird zum eine das Propagieren des Völkermords der Osmanen an den Armeniern als nationale Pflicht beschrieben, zum anderen wird "West-Armenien", gemeint ist die Osttürkei, als zum Staatsterritorium zugehörig beschrieben. Volkan Vural behauptet jedoch, dass ihm Alternativen zu diesen Dokumenten vorgelegen hätten. Hätte die Türkei schon damals diplomatische Beziehungen mit Armenien gehabt, hätte man in diesen Angelegenheiten intervenieren können. Man müsse die Rhetorik von der realen Welt unterscheiden. Selbst wenn einige Kreise in Armenien von "Groß-Armenien" träumten, dürfe sich ein Staat wie die Türkei nicht davor fürchten, mit seinem Nachbarn in Kontakt zu treten. Die Zahl der türkischen Soldaten entspreche der Gesamtbevölkerung Armeniens, folglich gebe es keinen berechtigten Grund zur Furcht.

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