Mittwoch, 4. Juni 2008

Auf dem Boot ist noch Platz

Greenpeace ist zur Zeit mit dem Schiff "Arctic Sunrise" auf Türkeitour, um vor einer drohenden Überfischung der türkischen Mittelmeerküste zu warnen.

Die Organisation setzt sich dafür ein, dass zwischen der Türkei und Zypern eine Schutzzone für Fische eingerichtet wird. Wie die Organisation am 30. Mai mitteilte, sei das Schiff von drei türkischen Fischerbooten mit den Namen Cinar Ibrahim, Sursan 1 und Kul Balikcilik attackiert worden. Die Zeitung "Milliyet" berichtete am 2. Juni, dass der Vorsitzende der Naturschutzorganisation "Umweltkrieger" Murat Cetintas bei der Staatsanwaltschaft Mersin Anzeige gegen Greenpeace erstattet habe, da diese türkische Fischer angreifen würde, mit asbestverseuchten Schiffen türkische Hoheitsgewässer durchkreuze und illegal Geld eintreiben würde.

Auf http://www.bendegemideyim.com/ (zu deutsch: "Ichbinauchaufdemboot.com") können sich türkischsprachige Sympathisanten mit der Greenpeace-Aktion solidarisieren. mehr...

Militärische Ironie

Der ehemalige Vositzende der prokurdischen DTP, Nurettin Demirtas, wurde durch ein Militärgericht für schuldig befunden, gefälschte medizinische Atteste vorgelegt zu haben, um den obligatorischen Militärdienst umgehen zu können. Im Zuge der Ermittlungen wurde eine organisierte Bande ausgehoben, die gegen Geld Untauglichkeitsatteste ausstellte.

Wie nun bekannt wurde, muss der ehemalige Politiker seinen Dienst in der türkischen Region Tokat bei der Gendarmerie ableisten. Der Gendarmeriekommandant von Tokat, Mustafa Önsel, war vorher Gendarmeriekommandant von Bursa und in dieser Funktion zuständig für das Gefängnis auf der Marmara-Insel Imrali, auf der der ehemalige PKK-Führer Abdullah Öcalan alleine seine lebenslange Haftsttrafe verbüßt. mehr...

Erdogans GAP-Blase

Ministerpräsident Erdogan hat vergangene Woche ein milliardenschweres Subventionsprogramm für den Südosten der Türkei vorgestellt.

Im Rahmen des "Südostanatolienprojektes", kurz GAP, sollen, wie der Spiegel ebenfalls berichtete, US$ 12 Mrd. als Entwicklungshilfe aufgewendet werden. Ein weiteres Versprechen Erdogans bezog sich auf die Minderheitenrechte. So sagte er in einer Ansprache in Diyarbakir, dass der staatliche Rundfunksender TRT einen eigenen Fernsehkanal bereitstellen werde, in dem ausschließlich in den Sprachen der diversen Minderheiten gesendet werden solle. Ein entsprechendes Gesetzespaket werde in Kürze im türkischen Parlament verabschiedet.

Der entscheidende Passus der besagten Gesetzesvorlage wurde jedoch von den AKP-Abgeordneten trotz heftiger Proteste aus den anderen Fraktionen ohne Begründung kassiert.

Was die Ankündigung betrifft, vier Millionen neue Arbeitsplätze zu schaffen, erhält Erdogan starken Gegenwind von türkischen Wirtschaftswissenschaftlern, die dieses Versprechen für wenig realistisch halten. Prof. Dr. Aziz Konukman von der angesehenen Gazi Universität in Ankara attestierte der Regierung puren Populismus. Die vorliegenden Zahlen würden die Befürchtungen verstärken, dass die Regierung, wie in den vergangenen sechs Jahren, "nicht einmal einen Nagel in die Wand hauen" werde. So sei vorgesehen, zusätzliche Mittel aus der Arbeitslosenversicherung in das Entwicklungshilfepaket umzuleiten. Um das von Erdogan ausgegebene Ziel zu erreichen, müsse jedoch zusätzlich zu den vorgesehenen Mitteln mehr als das Gesamtbudget der Arbeitslosenversicherung aufgewendet werden, so der Ökonom.

Auffällig war, dass Erdogan die Reise in den Südosten just zu jenem Zeitpunkt unternahm, als der Appell der CHP für eine Verbesserung der Lage im verkümmerten Teil der Türkei in der Öffentlichkeit Gehör und Gefallen fand. mehr...

Mamma li turchi!

...bedeutet auf Italienisch "Mama, die Türken kommen!". Diese Phrase wird z.B. von italienischen Müttern gerne zu Einschüchterungszwecken verwendet, wenn der Nachwuchs nichts essen mag. Sie ist darüber hinaus zum allgemeinen sprachlichen Ausdruck für einen Zustand der Furcht geworden.

Der türkische Grafiker, Illustrator und Karikaturist Birol Bayram hat sich dieses antitürkische Clichée in selbstironischer Manier zu Eigen gemacht und eine Kollektion von T-Shirts entworfen, die unter anderem besagten italienischen Ausspruch rezitieren. Als Begründung gibt Bayram an, dass den Türken die pauschale Verknüpfung von Nationen mit Barbarei, Furcht, etc. fremd sei und er dazu beitragen wolle, die in den Köpfen anderer Völker bestehenden Stereotypen humorvoll zu durchbrechen.

Neben T-Shirts mit dem Schriftzug finden sich in der Kollektion Motive, die türkische Soldaten und Volkshelden zeigen. Ferner sind auch Motive abgebildet, welche die ehemaligen Weltmeister im Ringkampf Kara Ahmed und Koca Yusuf zeigen. Auch diese beiden haben Anteil an der Türkenangst. So wurden Kara Ahmed und Koca Yusuf Ende der 1890er Jahre zu Ringkämpfen in die USA eingeladen, um gegen die damals sehr bekannten Ringer Jenkins und Robert anzutreten. In einem randvollen Stadion brauchte Koca Yusuf eine Sekunde, um den ersten Gegner aufs Kreuz zu legen. Die zweite Begegnung dauerte ganze vier Sekunden. Daraufhin wurde er nur noch "The terrible turc" genannt.

Unter http://www.mammaliturchi.net/ kann die Kollektion Birol Bayrams bewundert werden. mehr...

Die Türken kommen (wieder)!

Da die Türken immer noch nicht glauben können, dass sie Istanbul wirklich eingenommen haben, erobern sie die Stadt einfach jedes Jahr aufs Neue. So wurde zunächst am Abend des 29. Mai anlässlich des 555. Jahrestags der Eroberung durch Fatih Sultan Mehmet ein Festakt veranstaltet.
Neben dem traditonellen Nachstellen der Eroberungsszenen durch Laiendarsteller wurden Reden gehalten, Suren aus dem Koran verlesen, Lasershows veranstaltet und Festkonzerte organisiert. Wegen Proben, Auf- und Abbauten waren einige Hauptverkehrsadern vier Tage gesperrt, was von den Istanbulern aufgrund des freudigen Anlasses dieses Mal mit Verständnis aufgenomen wurde.
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Gut gebrüllt, Löwe

Die Äußerung des türkischen Außenministers Ali Babacan vor dem Europäischen Parlamanet, wonach auch die große Mehrheit der Muslime in der Türkei keine Religionsfreiheit genießen würde, hat in der Türkei für großes Aufsehen und einige Proteste gesorgt.

Diverse Medien, allen voran die erzlaizistischen Cumhuriyet, Milliyet und Hürriyet gifteten umgehend zurück, dass die Türkei nur noch die Einführung der Scharia von einem saudi-arabischen Gesellschaftsmodell trennen würde. Auch wenn es in realitas nicht ganz so dramatisch sein dürfte, sind die Argumente der Befürworter von Babacans These doch recht fragwürdig. So schreibt Mustafa Akyol, ein erklärter Kreationist und Ko-Autor des "Moderaten Muslimischen Manifests", dass Babacan durchaus Recht habe und verweist auf den 18. Artikel der Allgemeinen Erklärung über die Menschenrechte.

So erklärt er, dass die "im Westen" lebenden Muslime wesentlich mehr Freiheiten in puncto Religionsausübung genießen würden. Insbesondere die Bildung von religiösen Gemeinschaften und Bruderschaften sei "im Westen" viel unkomplizierter als in der Türkei. In diesem Punkt hat er Recht: Eine Vereinigung wie der Kölner "Kalifatstaat" hätte in der Türkei niemals offiziell gegründet werden können.

Ferner könnten sich die Muslime in Europa kleiden wie sie wollten. Dies ist natürlich ein Seitenhieb auf die strenge, wenn auch neuerdings gelockerte Verordnung über das Verbot von Kopftüchern an Universitäten, Schulen und Verwaltungen. Dabei unterschlägt Akyol, dass sich das Verbot nur auf die öffentliche Funktion des Kleidungsträgers bezieht. Der aus Frankreich importierte Gedanke der laicité macht keinerlei Vorschriften darüber, wie sich Menschen in ihrer Freizeit zu kleiden haben. Ich kann Herrn Akyol nur dazu auffordern, zehn Minuten durch den (auf der europäischen Seite gelegenen) Istanbuler Stadtteil Fatih zu laufen, wie ich es vor ein paar Tagen noch gemacht habe. Man kann sich des optischen Eindrucks nicht erwehren, sich an der Grenze Afghanistans zu Pakistan zu befinden, anstatt im Herzen des türkischen Fensters zur Welt.

Man verstehe mich bitte nicht falsch. Wenn diese Menschen dabei glücklich sind und niemandem Schaden zufügen, sollen sie sich doch bitte kleiden, wie sie es selbst für richtig halten. Wenn Herr Babacan, der - einmal abgesehen von dieser Äußerung - so gut wie nicht mehr vorkommt, seinen Landsleuten wirklich einen Gefallen tun will, so soll er endlich genug Schulen, Universitäten und vor allem Krankenhäuser errichten lassen, und die unterentwickelten Ortschaften im Südosten des Landes endlich mit Elektrizität und fließendem Wasser ausstatten. Moscheen gibt es in der Türkei nämlich schon über 80.000 Stück. mehr...

Erdbeben in Erzincan

Um 11.48 Uhr hat sich in Erzincan Doğanbeyli ein Erdbeben der Stärke 4.0 ereignet. mehr...

Gül in Japan - Zuhause bei Freunden

Staatspräsident Abdullah Gül ist zu einem Staatsbesuch in Japan eingetroffen. Er wird dort unter anderem mit Kaiser Akihito zusammen treffen. Es ist dies die erste offizielle Reise eines türkischen Staatspräsidenten in das Reich der Sonne. Gül war allerdings in seiner Funktion als Außenminister bereits 2003 in Japan.

Die freundschaftlichen Beziehungen zwischen Japan und der Türkei sind trotz der "de jure"-Kriegserklärung der Türkei an Deutschland und Japan gegen Ende des Zweiten Weltkrieges seit mehr als 130 Jahren ungetrübt. Im Jahre 1887 besuchte der Neffe des damaligen japanischen Kaisers Istanbul, woraufhin Sultan Abdülhamid II. verfügte, dass der Kreuzer "Ertuğrul" dem japanischen Kaiser diverse Geschenke zukommen lassen solle. Nach dem die Ertuğrul die japanischen Hoheitsgewässer erreichte und ihre protokollarische Aufgabe erfüllte, blieb sie noch einige Zeit in Japan, und stach am 16. September 1890 trotz einer Taifunwarnung in Richtung Heimat in See. Aufgrund der widrigen Wetterbedingungen kenterte das Schiff, von den ursprünglich 607 Mann Besatzung überlebten lediglich 69 Seeleute. Der Japaner Torajiro Yamada organisierte daraufhin eine Spendenkampagne für die Überlebenden und die Hinterbliebenen der Opfer, der sich das japanische Volk mit großer Hilfsbereitschaft anschloss. Die 69 Überlebenden wurden auf Geheiß des japanischen Kaisers von den Schiffen Hiei und Kongo nach Istanbul verbracht.

Sultan Abdülhamid II. lud Yamada als Zeichen seiner Dankbarkeit nach Istanbul ein. In Istanbul verbrachte Yamada viele Jahre, lernte von einem französischen Lehrer Türkisch, danach vom Sultan persönlich den Koran und konvertierte zum Islam. Schließlich verlieh ihm Abüdlhamid II. den Namen Abdülhilal Yamada und erhob ihn in den Rang eines Pascha, d.h. eines Generals. Yamada ging somit als erster japanischer Muslim in die Geschichte ein. Auf die Bitte des Sultans hin unterrichtete Yamada einige Generalstabsoffiziere in der japanischen Sprache. Unter ihnen befand sich auch Atatürk. Zurück in Japan, gründete Yamada den Vorläufer der Japanisch-Türkischen Handelskammer. Als Yamada 1931 ein letztes Mal in die Türkei kam und von Atatürk empfangen wurde, erhob sich dieser bei Yamadas Eintritt entgegen seinen Gepflogenheiten augenblicklich von seinem Stuhl, verneigte sich vor Yamada und begrüßte ihn als "Sensei".

Eine weitere, für die türkisch-japanische Freundschaft entscheidende Episode ereignete sich während des Iran-Irak-Krieges, im Jahre 1985. Der irakische Diktator Saddam Hussein hatte soeben angekündigt, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt alle Flugzeuge über iranischem Luftraum von der irakischen Luftabwehr abgeschossen werden würden. 215 japanische Staatsbürger hatten jedoch keine Plätze in den Flugzeugen westlicher Fluggesellschaften erhalten, da diese zunächst ihre eigenen Staatsbürger evakuierten. Als der damalige japanische Botschafter in Teheran Yutaka Nomura seinen engen Freund, den türkischen Botschafter Ismet Birsel um Hilfe ersuchte, da auch die japanischen Fluggesellschaften den Flug nach Teheran aufgrund der erhöhten Gefahr ablehnten, setzte sich dieser mit dem damaligen Minister- und späteren Staatspräsidenten Turgut Özal in Verbindung. Özal beauftragte die staatseigene Turkish Airlines damit, einen Sonderflug zur Evakuierung der Japaner zu organisieren. Der ehemalige Kampfpilot Ali Özdemir flog daraufhin mit einer DC-10 der THY über Van nach Teheran und evakuierte die 215 japanischen Staatsbürger nur drei Stunden vor Ende des von Saddam Hussein gesetzten Ultimatums. Einer der damals Geretteten, Satoru Nori von der Tokyo Bank, erwies seine Dankbarkeit nach dem großen Erdbeben 1999, als er, zwischenzeitlich in leitender Position bei der Mitsubishi Bank, für die Überlebenden und Hinterbliebenen 5 Mio. Yen spendete. mehr...

Neue Umfrage zum türkischen Wählerverhalten

Das schweizer Bankhaus Crédit Suisse hat beim türkischen Meinungsforschungsunternehmen A&G Research eine Umfrage zum Wählerverhalten in Auftrag gegeben.

Die Umfrage, die in 33 türkischen Regionen durchgeführt wurde und an der 2.386 Personen im wahlfähigen Alter teilnahmen, zeigt, dass im Falle eines politischen Betätigungsverbotes für Ministerpräsident Erdogan 39% der AKP-Stammwähler nicht mehr für eine AKP-basierte Partei votieren würden. Bei der obligatorischen Sonntagsfrage ("Welche Partei würden Sie wählen, wenn nächsten Sonntag Parlamentswahlen wären?") kam die AKP auf 39,7% im Vergleich zu den ca. 47%, die sie bei den letzten Wahlen erzielen konnte.

Die treuesten Wähler hat die DTP, die traditionell von Kurden favorisiert wird. Die Stammwähler der AKP würden zu 59,1% die Partei erneut wählen. Bei der CHP liegt der entsprechende Prozentsatz bei 61,6%, bei der MHP bei 76,4% und bei der DTP sogar bei 95%.

Auf die Frage, ob die Regierung insgesamt erfolgreich gewesen sei, antworteten die Befragten insgesamt zu 47,3% mit "Nein", zu 29,2% mit "Ja", und zu 23,5% mit "Weiß nicht". Von den AKP-Wählern fanden 54,5% die Regierungsarbeit erfolgreich, 19,9% erfolglos. CHP-Wähler fanden die Arbeit zu 79,8%, MHP-Wähler zu 65,1% erfolglos. Fragte man nach dem Erfolg, bzw. Mißerfolg der Opposition, so antworteten die Befragten zu 71,5% mit "Die Opposition war erfolglos", lediglich 8,1% empfanden die Arbeit der Oppositionsparteien als erfolgreich. MHP-Wähler stuften hierbei die Opposition zu 82,2%, CHP-Wähler zu 62% als erfolglos ein.

Bei der Frage, ob Staatspräsident Abdullah Gül im Fall eines AKP-Verbots zurücktreten solle, antworteten insgesamt 59,7% mit "Nein", 30,8% mit "Ja", der Rest war unentschieden. Von denen, die bei der Sonntagsfrage für die AKP stimmen würden, sind 90,7% für einen Verbleib Güls in der Staatsspitze.

Das Wählerprofil der Parteien im Kurzüberblick:

Bei der AKP und der CHP überwiegen die weiblichen Wähler, die restlichen Parteien haben hingegen eher männliche Wähler. Die MHP hat die meisten männlichen Wähler.

Erzielt die AKP bei der Gruppe der 28- bis 43-jährigen die höchsten Ergebnisse, so liegt das entsprechende Wählersegment der MHP bei den unter 27-jährigen. Die CHP hingegen erzielt bei den über 44-jährigen überdurchschnittliche Ergebnisse.

Mit steigendem Bildungsgrad verliert die AKP an Stimmen, die CHP hingegen gewinnt Stimmen hinzu. Während die AKP bei Grundschulabsolventen und noch tiefer liegenden Bildungsschichten überdurchschnittlich abschneidet, sorgen bei der CHP Hochschulabsolventen für überdurchschnittliche Ergebnisse.

Entgegen der in Europa verbreiteten Annahme, dass die AKP die Partei der ominösen "neuen Mittelschicht" sei, sind es die unteren Einkommensschichten, die überproportional für die AKP votieren. Die CHP ist bei den höheren Einkommensschichten am stärksten. Die Mittelschicht (gemessen am Einkommen) tendiert hingegen verstärkt zur MHP. mehr...