Mittwoch, 15. Oktober 2008

Ein Land, zwei Reden und viele Fragen

Orhan Pamuk hat in seiner Eröffnungsrede zur 60. Frankfurter Buchmesse auf die in der Türkei nach wie vor herrschenden Demokratiemängel hingewiesen. Der ebenfalls anwesenden Staatspräsident Gül beeilte sich, seinem Aushängeschild zu widersprechen.

Orhan Pamuk hat die literarische Eröffnungsrede der 60. Frankfurter Buchmesse gehalten. In seiner Ansprache las Pamuk dem türkischen Staat die Leviten und forderte ein Ende der Repressalien, die sich gegen die Grundrechte der Meinungs- und Informationsfreiheit richten

Hier ein Auszug aus Pamuks Rede:
“Das Verbieten und Verbrennen von Büchern, das Ermorden, Inhaftieren von Autoren, das Darstellen als Vaterlandsverräter und die Erniedrigung von Autoren in der Presse haben die türkische Kultur im letzten Jahrhundert nicht bereichert, sondern verarmen lassen. Die Angewohnheit des Staates, Autoren und Bücher zu bestrafen, wird immer noch praktiziert. Hunderte Autoren werden wie ich mithilfe des Paragrafen 301vor Gericht gestellt und verurteilt. Bei der Arbeit an dem Roman den ich in diesem Jahr veröffentlicht habe, musste ich mir alte türkische Filme ansehen und schöne alte Lieder anhören. Dies konnte ich auf einfache Art mit Youtube erledigen. Dies kann ich nun nicht mehr tun. Denn Youtube und hunderte andere türkische und internationale Webseiten sind den in der Türkei lebenden Menschen aus politischen Gründen verboten. Die Inhaber der politischen Macht mögen mit diesen Repressalien zufrieden sein. Aber wir Autoren, Publizisten, Künstler und alle, die die türkische Kultur erschaffen und die beobachten, wie unsere Kultur und Literatur auf der ganzen Welt bekannt ist, verstehen dies nicht. Aber man darf nicht glauben, dass der Eifer von uns Autoren und Publizisten dadurch gebrochen wäre. Die türkische Verlagsszene ist in den vergangenen 15 Jahren mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit gewachsen und reicher geworden. Heute werden in der Türkei mehr Bücher denn je herausgegeben.”

Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül versuchte, das von Pamuk gezeichnete Bild einer repressiven Türkei dadurch zu entschärfen, dass er auf die rasante wirtschaftliche Entwicklung der Türkei hinwies, die im Rahmen der EU-Annäherung positive Entwicklungen im Bereich der Menschen- und Grundrechte zöge. Er wies darauf hin, dass die Verbesserung der Menschenrechtslage und die zunehmende Respektierung der Meinungs- und Informationsfreiheit einen direkten Einfluss auf die Kultur habe.

Hier ein Auszug aus Güls Rede:
“Die Anzahl, Vielfalt und Qualität der in der Türkei veröffentlichten Bücher nimmt stetig zu. Einschränkungen und Repressalien, die türkische Autoren in der Vergangenheit erfahren mussten, sind insgesamt weniger geworden oder mit der Zeit aufgehoben worden. In dieser Zeit sind zudem viele Autoren Opfer von Terrorismus geworden. Ich kann heute mit Überzeugung sagen, dass die Türkei durch die in den letzten Jahren vorgenommenen wirtschaftlichen und politischen Reformen zu einem Land geworden ist, welches die Kriterien der EU in den Bereichen der Meinungsfreiheit und der kulturellen Vielfalt weitestgehend erfüllt. Ohne Zweifel möchte ich hierbei nicht jene Dinge ignorieren, die noch zu tun sind, doch wenn man die Türkei mit dem Stand vergangener Zeiten vergleicht, so möchte ich diesen positiven Entwicklungen Ausdruck verleihen. Unsere Kultur verfügt über eine immer freiere und autonomere Identität.”

Gül wandte sich an Pamuk und bedankte sich bei diesem dafür, die türkische Kultur und Sprache in der Welt verbreitet zu haben. “Sie haben großen Anteil daran, dass man die Kultur und die Welt, in der sie leben, weltweit kennt. Ich danke Ihnen.”, so das türkische Staatsoberhaupt.

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