Freitag, 30. Mai 2008

Der heilige Stoff

Der streitbare türkische Theologe Prof. Dr. Zekeriya Beyaz hat als Gast in der Sendung "Orada neler oluyor? " (zu deutsch: Was passiert dort?), die vom türkischen Sender "Star TV" ausgestrahlt wird, dem Kopftuchstreit eine neue, äusserst ungewohnte Dimension hinzugefügt.

Beyaz, dessen theologische Ansichten oft mindestens genau so interessant sind wie seine äussere Erscheinung und der in der Türkei einen Kult-Status innehat, wurde in der Sendung gefragt, ob dem Kopftuch nicht ein gewisses Maß an Heiligkeit zukäme. Schließlich werde durch das Stück Stoff eine Weisung des Allmächtigen umgesetzt.

Die Antwort von Professor Beyaz: "Wenn man schon bei Textilien nach der Heiligkeit fragt, dann müsste die heiligste Textilie die Unterhose sein, da sie die wichtigste Region des Körpers verdeckt."
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Service wie in Dubai

Was klingt wie ein Qualitätsprädikat ist in Wahrheit eine zutiefst verstörende Momentaufnahme der türkischen Wirklichkeit. Das Hotel "Golden Horn" in Istanbul ist durch ein Serviceverständnis aufgefallen, welches man eigentlich nur aus arabische Staaten kennt.

Die Abgeordnete des Berliner Senats Dilek Kolat (SPD) ist mit einer Gruppe von Parlamentarierinnen nach Istanbul gereist. Als die Gruppe nach Konsultationen mit den Frauenverbänden der AKP und der CHP ins "Golden Horn" einkehrte, um dort zu essen, hielt die anfängliche Begeisterung der Damen für die Türkei jedoch nicht lange an. Frau Kolat wurde der von ihr gewünschte Raki mit der Begründung verweigert, dass sie Türkin sei. Die deutschen Damen erhielten ihre Alkoholika ohne Probleme. Als Frau Kolat darauf hin den Direktor des Hotels zu sich bat, gab dieser an, dass die Stadtverwaltung von der AKP geführt werde, und dass man eigentlich über keine Lizenz für den Ausschank von Alkohol verfüge. Bei "Touristen", d.h. Nicht-Muslimen, könne man jedoch eine Ausnahme machen. Sollte die Stadtverwaltung jedoch bei einer Razzia sehen, dass man Alkohol an Türken ausschenke, werde das Hotel umgehend geschlossen.

Die deustchen Parlamentarierinnen schickten darauf hin auch ihre Getränke zurück und waren restlos "bedient". mehr...

Ein neuer Abhörskandal

Ein Gespräch des Generalsekretärs der Republikanischen Volkspartei CHP Önder Sav mit dem ehemaligen Gouverneur von Bolu Ali Serindag, welches am 23. Mai in der Parteizentrale stattfand, wurde am 27. Mai in der religiös-konservativen zeitung "Vakit" teilweise Wort für Wort wiedergegeben. Der Vorgang löste ein schweres politisches Erdbeben aus. Sav erklärte, dass sich ausser Serindag und ihm sonst niemand in dem Raum befunden habe.

Daraufhin wurden die gesamte Parteizentrale nach Wanzen durchsucht, jedoch wurde man nicht fündig. Die Frage, wie das Gespräch belauscht wurde, bleibt zunächst ungeklärt, jedoch bleiben als mögliche Antworten nur technische Lösungen, die in der Türkei nur die Sicherheitsorgane realisieren können. Der Parteivorsitzende Deniz Baykal, der manchen als republikanischer Betonkopf, anderen hingegen als die letzte demokratische Hoffnung gilt, erklärte in einer Pressekonferenz, dass die AKP-Regierung diese illegakle Aktion veranlasst habe. Er berief sich dabei ausdrücklich auf den Watergate-Skandal und meinte weiterhin, dass sich unter der AKP-Regierung "Banden" innerhalb des Sicherheitsapparates eingenistet hätten, die oppositionelle politische Kräfte abhörten und unter Druck setzen wollten.

Der türkische Innenminister Besir Atalay ging ob der schweren Anschuldigungen vor die Presse - es war dies immerhin die zweite Pressekonferenz in seiner Amtszeit - und wies zunächst alle Anschuldigungen gegen die Regierung und die Sicherheitsorgane zurück, und versprach eine schnelle Aufklärung des Vorfalls. Dabei machte er einen recht verwirrten und kaum überzeugenden Eindruck.

Solche Vorfälle, die in der Türkei mit dem Namen "Telekulak", also Teleohr, bezeichnet werden, sind in der Türkei leider gang und gäbe. In der jüngeren Vergangenheit waren unter den abgehörten Personen illustre Namen wie der Kommandeur der Heeresakademien Reha Taskesen, dessen telefonische Korrespondenz mit seiner Geliebten veröffentlicht wurde und der daraufhin seinen Rücktritt erklärte. Ein Gespräch des ehemaligen Vorsitzenden des Nationalen Hochschulrates Erhan Tezic, der sich vehement gegen die Einführung des Kopftuchs an türkischen Universitäten stemmte und die AKP-Regierung in diesem Gespräch mit derben Worten kritisierte, wurde ebenfalls veröffentlicht. Der Kommandant der Abteilung für elektronische Systeme im Generalstab Münir Erten wurde ebenfalls abgehört. Die Aufnahmen, auf denen er zugab, dass bei den grenzüberschreitenden Operationen im Nordirak weitaus weniger PKK-Terroristen getötet wurden als bisher angenommen, wurden über einen schweizer Account bei YouTube veröffentlicht. Aufnahmen, auf denen der Kommandant für die Ausbildung der Seestreitkräfte Kadir Sagdic erklärt, dass das Militär wie ein Damokles-Schwert über der AKP-Regierung hängt, wurden ebenfalls über das Internet veröffentlicht. Über den Verdacht, dass der 2. Vorsitzende des Verfassungsgerichts Osman Paksüt während einer Autofahrt abgehört wurde, berichtete der Türkeimonitor hier.

Folgende Fragen müssen von Seiten der AKP-Regierung schnellstmöglich beantwortet werden:
  • Wurde unter der AKP-Regierung eine weitere Abteilung aufgebaut, die über die selben technischen Möglichkeiten verfügt, wie das Direktorat für Nachrichtendienste der Polizei?
  • Wurden dieser Einheit, die von Geheimdienstlern nur "Die Besonderen" genannt werden, technische Gerätschaften an die Hand gegeben, mit deren Hilfe man aus fahrenden Autos und geschlossenen Räumen Gespräche aufzeichnen kann?
  • Haben "Die Besonderen" eigene Zentralen, die von denen der "normalen" Nachrichtendienstabteilung der Polizei getrennt sind?
  • Sind die Beamten dieser besonderen Einheit auffällig hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Organisation, Bruderschaft oder politischen Vereinigung?
  • Hat diese Einheit neben der Unterstützung des Direktorats für die Bekämpfung des Organisierten Verbrechens den Auftrag, oppositionelle Parteien, unliebsame staatliche Organe und das Militär zu belauschen?
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Ein Massengrab der anderen Art

Bei Antalya hat der Tierschutzbund nahe des Örtchens Varsak ein Massengrab für Hunde entdeckt. In der Türkei gibt es viele Strassenhunde, die tollwütig sind, und die Menschen und andere Tiere gefährden. Leider führt dieser Umstand dazu, dass sich die oftmals überforderten örtlichen Behörden nicht anders zu helfen wissen, als diese Tiere zu töten.

Die Vorsitzende des Tierschutzbundes von Antalya Sevda Kirac gab an, dass man auf einen Hinweis hin in einem Waldgebiet mit Grabungen begonnen habe und dabei eine Stätte entdeckt habe, in der über 5.000 Tiere verscharrt worden seien. mehr...

Der Laden ist zu


Der türkische Fussballclub Beşiktaş aus Istanbul hat, wie alle türkischen Vereine, fanatische Anhänger. Innerhalb der Anhängerschaft von Beşiktaş gibt es jedoch eine lose organisierte Gruppe mit dem Namen "Çarşı" (zu deutsch Markt/Basar/Warenhaus), die als die "Lokomotive" der Beşiktaş-Fans gilt. Çarşı ist seit ihrem Bestehen die kreativste, selbstbewussteste und darüber hinaus auch von Anhängern anderer Vereine am meisten geachtete Fangruppe der Türkei und geniesst auch International ein hohes Ansehen. Die Achtung geht sogar so weit, dass sich die an sich bis aufs Blut verfeindeten Fans der anderen Mannschaften im Beşiktaş-Trikot ins Inönü-Stadion (Die drei großen Istanbuler Clubs Beşiktaş, Galatasary und Fenerbahçe haben jeweils ihr eigenes Stadion) begeben, nur um die sensationelle Atmosphäre mit Gänsehautgarantie genießen zu können.

Çarşı begnügt sich jedoch nicht nur mit fussballerischer Devotion, die u.a. dazu führte, dass man den Stadionweltrekord mit einer Lautstärke von 132 dB brach. Als der Spieler Samuel Eto´o vom FC Barcelona in Spanien Opfer rassistischer Rufe und Gesänge wurde, hing Çarşı ein riesiges Plakat mit der Schrift "Çarşı ist gegen Rassismus - Wir sind alle Eto´o!" auf. Bei der Saisoneröffnung 2005/2006 trat Çarşı mit dem Plakat "Çarşı ist gegen Atomanlagen" in Erscheinung. Während der Saison 2006/2007 hing Çarşı gemeinsam mit Greenpeace Turkey ein Plakat mit der Inschrift "Für eine Türkei ohne Atomenergie" auf. 2007 hat Çarşı seine Anhänger dazu aufgerufen, dem türkischen Roten Halbmond Blut zu spenden, welchem massenhaft Folge geleistet wurde. Für Waisenkinder wurden Geld- und Sachspenden organisiert. Nach der Ermordung von Hrant Dink befestigte Çarşı ein riesiges Plakat mit dem Titel "Wir sind alle Armenier!" im Inönü-Stadion. Selbst gegen das Ozonloch und die Erderwärmung wurde protestiert.

Diese Vereinigung hat sich nun zum Entsetzen der türkischen Fussballgemeinde selbst aufgelöst. Wie der Anführer von Çarşı, der armenischstämmige Alen Markaryan, anlässlich der Präsentation eines Dokumentationsfilms über die Gruppe bekannt gab, hat die Gruppe beschlossen, ab sofort nicht mehr als Çarşı aufzutreten. Als Grund gab er an, dass in der letzten Zeit immer mehr Akteure auf den Zug aufgesprungen seien, nur um vom Image der legendären Fans zu profitieren. Ferner war das immer wiederkehrende Gerücht, dass die Fans nicht mehr wegen Beşiktaş, sondern wegen Çarşı ins Inönü-Stadion kommen, ein weiterer Beweggrund.

Hier ein Video, welches zeigt, wie der Çarşı-Anführer Alen Markaryan die Fans auf das Eintreffen der Mannschaft vorbereitet:



Es bleibt zu hoffen, dass die Entscheidung revidiert wird.
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