Donnerstag, 22. Mai 2008

Der "neue" 301

Das türkische Parlament hat ein Reförmchen des 301. Paragrafen des Strafgesetzbuches, in Deutschland bekannt als der "Türkentum"-Paragraf, beschlossen. Im Zuge der Reform, die nach einer heftigen Debatte am 30. April verabschiedet wurde, werden die Begriffe "türkische Identität" durch "türkische Nation" ersetzt und das Strafmaß von drei auf zwei Jahre herabgesetzt, weswegen die Verfahren künftig vor dem Amtsgericht und nicht mehr vor den Strafgerichten stattfinden werden. Organisationen wie "Reporter ohne Grenzen" halten die Änderungen jedoch für reine Makulatur, zumindest solange die einzelnen Instanzen des türkischen Rechtswesens nicht mitspielen.

Ein aktuelles Beispiel aus Peltek bei Tunceli scheint den Skeptikern recht zu geben. Das regionale Protokoll hat anlässlich des Feiertages am 19. Mai vor dem örtlichen Atatürk-Denkmal Kränze niederlegt und traf sich anschließend im Büro des Regionalpräsidenten Cihangir Güler. Der 73-jährige ehemalige Lehrer Hasan Erdoğan fand sich ebenfalls in dem Büro ein und überbrachte seine Glückwünsche. Die versammelte Gesellschaft vertiefte sich sodann in ein Gespräch über die aktuelle Lage. Dabei machte der Rentner den Fehler, seine Meinung über das neue Nichtraucherschutzgesetz in der Türkei offen zu äußern.

Seiner Meinung nach sei Nikotin ein Gift wie jedes andere, und müsste somit von den Staatsanwälten verfolgt werden. Die Staatsanwälte seien jedoch untätig, was der ebenfalls anwesende Generalstaatsanwalt Fethi Ahmet Tosun mitbekam. Erdoğan begab sich nach dem Gespräch in sein Stamm-Cafe. Nach kurzer Zeit wurde er von Polizisten, die in das Lokal kamen, aufgesucht und gebeten mit auf das Revier zu kommen. Dort wurde er fünf Stunden verhört und erfuhr über seinen Rechtsanwalt, dass gegen ihn auf Grundlage des Paragrafen 301 ermittelt werde. Staatsanwalt Tosun kommentierte den Vorgang nicht.