Donnerstag, 18. September 2008

Über Visumswäschen und Gehirnpflichten

Die Zeitung Taraf berichtet, dass die für das Erasmus-Programm an der Marmara-Universität ausgewählten Studenten in einem „Orientierungskurs“ die offizielle Staatsdoktrin der Türkei in Bezug auf sensible Themen wie den Völkermord-Vorwurf der Armenier, die Pontus-Frage mit den Schwarz-Meer-Griechen, die Kurdenfrage und Zypern eingetrichtert bekamen. Wer nicht teilnahm, durfte nicht ins Ausland.

So wurden etwa 150 Studenten per E-Mail dazu aufgerufen, dem „Orientierungskurs“ beizuwohnen. In der von Prof.Dr. Selahattin Güriş unterschriebenen Mail wird darauf hingewiesen, dass ein Fehlen dazu führe, nicht ins Ausland zu dürfen. Der erste Tag des viertätigen Kurses wurde sodann den heiklen Fragen der türkischen Politik gewidmet. Erklärtes Ziel des Modules: die Vermittlung der offiziellen Position der Türkei in Bezug auf Völkermordvorwurf, Kurdenkonflikt, Pontus und Zypern. Der Referent war niemand Geringeres als Yusuf Halaçoğlu, der ehemalige Direktor des Türkischen Historischen Gesellschaft.

Halaçoğlu rief die Studenten dazu auf, diese Thesen bei deren Besuch im Ausland zu verteidigen. Die Wortwahl Halaçoğlus beim Thema des Völkermordvorwurfes brachte einige Studenten in Rage. Sie erwiderten, dass sie ins Ausland führen, um mit Studenten aus anderen Ländern „zu verschmelzen“, nicht um in einen Krieg zu führen. Einige verliessen wutentbrannt den Saal.

Die Veranstaltung fand offenbar auf Anraten der Rektorin Necla Pur statt. Der Erasmus-Koordinator der Marmara-Universität und Unterzeichner der E-Mail, Prof. Selahattin Güriş, erklärte, dass man den Studenten lediglich unnötige „Kopfschmerzen“ habe ersparen wollen. Es sei aber jedermanns eigenen Entscheidung, ob er im Ausland über die angesprochenen Themen diskutiere. Studenten, die nicht an der Veranstaltung teilnahmen, müssten jedoch keine Disziplinarmaßnahmen befürchten, vielmehr habe er mit seinem angedrohten Reiseverbot lediglich die Teilnahmequote erhöhen wollen.