Montag, 30. Juni 2008

Atatürks "Appell an die türkische Jugend" stammt gar nicht von Atatürk

Wie der Journalist Oral Çalışlar in seinem neuen Buch "Liderler Hapishanesi, 12 Eylül Günlükleri" (zu deutsch: "Das Gefängnis der Führer, Tagebücher des 12. Spetember") schreibt, hat der ehemalige Vorsitzende der CHP Bülent Ecevit aus dem Munde Ismet Inönüs erfahren, dass der berühmte und in der Türkei allgegenwärtige "Appell an die türkische Jugend" ("Gençliğe Hitabe") nicht wie bisher angenommen von Atatürk, sondern von Inönü selbst stammt.

Çalışlar beschreibt in seinem Buch die Umstände der Sicherheitsverwahrung, die nach dem Militärputsch des 12. Sptember 1980 für die Führer der politischen Parteien und kritische Journalisten angeordnet wurde. So wurde insbesondere das Sprachen- und Nachrichtendienstzentrum der Armee in Ankara zum Gefängnis für die politische Elite umfunktioniert. Hier sassen neben Bülent Ecevit und Oral Çalışlar auch Necmettin Erbakan, der Gründer und Führer diverser religiös inspirierter Bewegungen wie z.B. "Milli Görüş", und Alparslan Türkeş, der Gründer und Vordenker der MHP, ein. Während der täglichen Freigänge hatten die Insassen die Gelegenheit, sich intensiv auszutauschen.

Çalışlar beschreibt zum Beispiel ein Gespräch zwischen dem Sozialdemokraten Ecevit und dem Völkisch-Nationalen Türkeş über die Falkland-Krise. So hätte sich Türkeş in ein Gespräch zwischen Ecevit und Çalışlar eingebracht und Ecevit gefragt, ob er Argentinien oder Großbritannien unterstütze. Ecevit habe geantwortet, dass ihm die Wahl sehr schwer falle, da Argentinien eine faschistische Diktatur sei, Großbritannien hingegen ein imperialistischer Akteur. Daraufhin habe Türkeş geantwortet: "Argentinien soll besiegt werden, mein Herr. Somit wird der Diktator an seiner Spitze gestürzt, und vielleicht auch der Faschismus besiegt."

Eine noch viel interessantere Gesprächsnotiz bezieht sich auf eine Anekdote Ecevits. Dieser habe von Ismet Inönü, dem alten Weggefährten Atatürks, erfahren, dass der "Appell an die türkische Jugend", die bislang immer Atatürk zugeschrieben wurde, und die sich im Anhang seiner "großen Rede", dem "Nutuk", befindet, von Inönü selbst stamme. So habe Atatürk Inönü das Manuskript des "Nutuk" vorgelegt und um seine Meinung gebeten. Inönü habe Atatürk vorgeschlagen, den Schlussteil zu redigieren und als seperaten Appell an die Jugend zu verfassen. Daraufhin habe Atatürk Inönü gebeten, diesen Teil selbst zu Papier zu bringen. An der von Inönü verfassten Version habe Atatürk nichts mehr geändert.