Freitag, 30. Mai 2008

Ein neuer Abhörskandal

Ein Gespräch des Generalsekretärs der Republikanischen Volkspartei CHP Önder Sav mit dem ehemaligen Gouverneur von Bolu Ali Serindag, welches am 23. Mai in der Parteizentrale stattfand, wurde am 27. Mai in der religiös-konservativen zeitung "Vakit" teilweise Wort für Wort wiedergegeben. Der Vorgang löste ein schweres politisches Erdbeben aus. Sav erklärte, dass sich ausser Serindag und ihm sonst niemand in dem Raum befunden habe.

Daraufhin wurden die gesamte Parteizentrale nach Wanzen durchsucht, jedoch wurde man nicht fündig. Die Frage, wie das Gespräch belauscht wurde, bleibt zunächst ungeklärt, jedoch bleiben als mögliche Antworten nur technische Lösungen, die in der Türkei nur die Sicherheitsorgane realisieren können. Der Parteivorsitzende Deniz Baykal, der manchen als republikanischer Betonkopf, anderen hingegen als die letzte demokratische Hoffnung gilt, erklärte in einer Pressekonferenz, dass die AKP-Regierung diese illegakle Aktion veranlasst habe. Er berief sich dabei ausdrücklich auf den Watergate-Skandal und meinte weiterhin, dass sich unter der AKP-Regierung "Banden" innerhalb des Sicherheitsapparates eingenistet hätten, die oppositionelle politische Kräfte abhörten und unter Druck setzen wollten.

Der türkische Innenminister Besir Atalay ging ob der schweren Anschuldigungen vor die Presse - es war dies immerhin die zweite Pressekonferenz in seiner Amtszeit - und wies zunächst alle Anschuldigungen gegen die Regierung und die Sicherheitsorgane zurück, und versprach eine schnelle Aufklärung des Vorfalls. Dabei machte er einen recht verwirrten und kaum überzeugenden Eindruck.

Solche Vorfälle, die in der Türkei mit dem Namen "Telekulak", also Teleohr, bezeichnet werden, sind in der Türkei leider gang und gäbe. In der jüngeren Vergangenheit waren unter den abgehörten Personen illustre Namen wie der Kommandeur der Heeresakademien Reha Taskesen, dessen telefonische Korrespondenz mit seiner Geliebten veröffentlicht wurde und der daraufhin seinen Rücktritt erklärte. Ein Gespräch des ehemaligen Vorsitzenden des Nationalen Hochschulrates Erhan Tezic, der sich vehement gegen die Einführung des Kopftuchs an türkischen Universitäten stemmte und die AKP-Regierung in diesem Gespräch mit derben Worten kritisierte, wurde ebenfalls veröffentlicht. Der Kommandant der Abteilung für elektronische Systeme im Generalstab Münir Erten wurde ebenfalls abgehört. Die Aufnahmen, auf denen er zugab, dass bei den grenzüberschreitenden Operationen im Nordirak weitaus weniger PKK-Terroristen getötet wurden als bisher angenommen, wurden über einen schweizer Account bei YouTube veröffentlicht. Aufnahmen, auf denen der Kommandant für die Ausbildung der Seestreitkräfte Kadir Sagdic erklärt, dass das Militär wie ein Damokles-Schwert über der AKP-Regierung hängt, wurden ebenfalls über das Internet veröffentlicht. Über den Verdacht, dass der 2. Vorsitzende des Verfassungsgerichts Osman Paksüt während einer Autofahrt abgehört wurde, berichtete der Türkeimonitor hier.

Folgende Fragen müssen von Seiten der AKP-Regierung schnellstmöglich beantwortet werden:
  • Wurde unter der AKP-Regierung eine weitere Abteilung aufgebaut, die über die selben technischen Möglichkeiten verfügt, wie das Direktorat für Nachrichtendienste der Polizei?
  • Wurden dieser Einheit, die von Geheimdienstlern nur "Die Besonderen" genannt werden, technische Gerätschaften an die Hand gegeben, mit deren Hilfe man aus fahrenden Autos und geschlossenen Räumen Gespräche aufzeichnen kann?
  • Haben "Die Besonderen" eigene Zentralen, die von denen der "normalen" Nachrichtendienstabteilung der Polizei getrennt sind?
  • Sind die Beamten dieser besonderen Einheit auffällig hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Organisation, Bruderschaft oder politischen Vereinigung?
  • Hat diese Einheit neben der Unterstützung des Direktorats für die Bekämpfung des Organisierten Verbrechens den Auftrag, oppositionelle Parteien, unliebsame staatliche Organe und das Militär zu belauschen?