Mittwoch, 22. Oktober 2008

Türkisches Verfassungsgericht veröffentlicht Kopftuchurteil

Das türkische Verfassungsgericht hat heute die schriftliche Begründung des Urteils gegen das Tragen von Kopftüchern an Universitäten im Staatsanzeiger „Resmi Gazete“ veröffentlicht.

Das Verfassungsgericht hatte am 5. Juni 2008 über die Verfassungsbeschwerde von Abgeordneten der CHP und der DSP beraten und diese für richtig befunden. Das höchste türkische Gericht hat nun schriftlich festgehalten, dass die von der Regierung Erdogan angestrebte Reform des Tragens von Kopftüchern in öffentlichen Einrichtungen eindeutig einen islamisch-politischen Hintergrund habe und dem Grundsatz der Laicité widerstrebe. Die Reform sei geeignet gewesen, die türkische Gesellschaft zu polarisieren.

In dem schriftlichen Urteil heißt es wie Folgt:

„Die Verordnung, die auf einer religiös bestimmten Form der Verhüllung basiert, ist geeignet als politisches Symbol mißbraucht zu werden und somit den Graben zwischen Gläubigen und Ungläubigen, Verhüllten und Unverhüllten sowie Muslimen und Nicht-Muslimen zu vertiefen und zu Auseinandersetzungen zu führen. Personen könnten sich verpflichtet fühlen, dass Kopftuch zu tragen, was entgegen den fundamentalen Prinzipien der Religions- und Gewissensfreiheit ist.

In der modernen Rechtsordnung ist die Souveränität dem Menschen entlehnt. Rechtliche Regelungen sind weltliche Angelegenheiten, keine religiösen Angelegenheiten. Es ist undenkbar, von Freiheiten zu profitieren um Freiheiten einzuschränken. Eine Freiheit, die dem Laizismus widerstrebt, kann nicht aufrecht erhalten und verteidigt werden. Das Kopftuch ist nicht mit dem laizistischen Wissenschaftsumfeld vereinbar.“

Der Präsident des Verfassungsgerichts Haşim Kılıç, der sich nicht der Mehrheitsmeinung im Senat anschließen wollte, spricht hingegen davon, dass das Verfassungsgericht seine Befugnisse überschritten habe. Eine Verletzung des Laizismus sei massiv in das Urteil hineininterpretiert worden und utopisch. Eine echte Gefahr für das laizistische System sei nicht absehbar. Man habe nicht die Augen davor verschließen dürfen, dass man junge Menschen aus Angst vor einer potentiellen, jedoch sehr unwahrscheinlichen Gefahr das fundamentale Grundrecht auf Bildung vorenthalte.