Dienstag, 30. September 2008

Die moderne Frau - das unbekannte Wesen

Das Direktorat für familienbezogene und soziale Untersuchungen, das direkt dem türkischen Ministerpräsidialamt untergeordnet ist, gibt ein Magazin namens “Aile ve Toplum” (“Familie und Gesellschaft”) heraus. In diesem Magazin hat der Lehrbeauftragte der Inönü-Universität Dr. Ünal Şentürk über seiner Meinung nach regelrecht schädliche Auswirkungen von Fernsehserien-Drehbüchern geschrieben.

Es sei schädlich gegenüber der Institution Familie, wenn die Protagonistinnen äußerst populärer Fernsehserien als geschieden, alleinstehend oder in wilder Ehe lebend dargestellt würden, so der Soziologe. Der Wissenschaftler diagnostiziert in seinem Aufsatz eine Reihe gesellschaftlicher Phänomene, die er für schädlich hält. Es sind dies die Erhöhung der Scheidungsrate, wilde Ehen, gleichgeschlechtliche Ehen und ein erhöhtes Heiratsalter. Sein Rezept: Die Anpassung von Fernseh-Drehbüchern. In der Radikal äußern sich einige der bekanntesten Drehbuchautoren der Türkei über den Vorstoß Şentürks.

Eylem Canpolat und Sema Ergenekon:
“Wir schreiben nicht über moralische Vorbilder, sondern orientieren uns an dem, was ist. Keine der Personen oder Geschichten, über die wir schreiben, ist diesem Land fremd. Wir haben den Aufsatz als Reaktion darauf verstanden, dass die Frauen in unseren Drehbüchern so leben, wie sie es selbst für richtig halten.”

Gaye Boralıoğlu:
“Betrachten wir das Thema doch einmal anders herum. Alle Familien in den Serien sind glücklich, die Frauen sind trotz des auf sie ausgeübten Drucks still und schützen ihre Familie. Können sie sich vorstellen, wie realitätsfremd solch ein Szenario im Sinne Dr. Şentürks wäre?”

A. Haluk Ünal:
“Ich glaube nicht, dass die soziokulturelle Erscheinungsform ´Familie´ heilig sein kann. Der Autor, der das Gegenteil behauptet, schreibt dies nicht von einem realistischen, sondern von einem ideologischen Standpunkt heraus.”

Melek Özman (MEDIZ):
“Leider muss man den Eindruck gewinnen, dass das dem Ministerpräsidialamt untergeordnete Direktorat der Not, die Frauen erleiden und den Kampf, den sie führen, ablehnen.”

Nilgün Öneş:
“Es sind Frauen, die erniedrigt werden, weil sie Partnerschaften ohne Trauschein führe, nicht Männer. Neue Formen des Zusammenlebens zu ignorieren bedeutet, den Kopf wie ein Strauss in den Sand zu stecken. Wenn wir Moral und Anstand hinterfragen wollen, müssen wir dies auch bei Männern tun. Wenn diese Lebensformen schon Stoff für Fernsehserien geworden sind, ist es vielleicht an der Zeit, sie als neue Formen des Zusammenlebens zu akzeptieren.”