Freitag, 23. Mai 2008

Das gefundene Fressen "Ehrenmord"

Einige deutsche Medien, vorneweg der Spiegel, haben, vor allem durch den Mord an der Afghanin Morsal O., ihr altes Lieblingsthema "Ehrenmord" wiederentdeckt. Das Thema wird uns mal wieder fast ausschließlich von Necla Kelek und Seyran Ateş aufgetischt, wem sonst. Dass beide sich in einer so wichtigen Sache engagieren, muss man ihnen hoch anrechnen.

Gleichwohl muss die Art und Weise, wie die beiden Damen dies tun, kritisiert werden können. So haben beide jüngst den Vorschlag einer Notfallvollmacht ins Gespräch gebracht, mittels derer die betroffenen Mädchen und Frauen im Falle einer Zwangsheirat ihre Rückholung nach Deutschland im Vorfeld verfügen können. Ferner soll die deutsche Zivilgesellschaft dahingehend sensibilisiert werden, klare(re) Grenzen zu ziehen. So weit, so gut.

Doch wo werden diese Zwangsehen vollzogen? Im Ausland. Frau Kelek als Soziologin und Frau Ateş als Anwältin sind doch eigentlich prädestiniert dafür, Sensibiliserungsstrategien für jene Beamten zu entwickeln, die diesen Ehen den offiziellen Segen geben. Warum suchen beide ferner nicht den Schulterschluß mit z.B. türkischen Intellektuellen, um das Problem Zwangsheirat in der vermeintlichen Freizone "Herkunftsland" zu thematisieren? So lange beide sich damit begnügen, Zwangsehelichungen und Ehrenmorde ungerechtigterweise als Teil der türkischen, afghanischen, arabischen und schlechthin islamischen Kultur darzustellen, muss daran gezweifelt werden, dass die Vorschläge auch aufs Ganze gehen. Oft sind die furchtbaren Verhältnisse, aus denen solche Tragödien entspringen, sozial bedingt. Wahrscheinlich macht man sich jedoch unbeliebt, wenn man offen ausspricht, dass die Gründe hierfür auch in der strukturellen Ungleichbehandlung von Migranten in Deutschland liegen.

Mit dieser Inkonsequenz liefern Frau Kelek und Frau Ateş ihren Kritikern weiterhin den Stoff, den diese brauchen. So heißt es insbesondere in türkischen Foren, dass beide Damen auch ein ökonomisches Interesse an der Verwirklichung ihrer Vorschläge hätten. Die Sensibiliserung der deutschen Gesellschaft wäre schließlich sicher ein gutes Thema für Frau Keleks nächstes Buch, und bei der Rückholung einer zwangsverheirateten Frau macht sich eine Rechtsanwältin auch nicht schlecht.

Man kann aber auch versuchen, das Problem da anzugehen, wo es entsteht - hiermit sind die sozialen Verhältnisse gemeint - und wo es Brief und Siegel erhält - nämlich im Herkunfstland, wo diese Eheschließungen vollzogen werden.