Donnerstag, 21. August 2008

Was ist ein Türke?

Welche Minderheiten gibt es eigentlich in der Türkei? Welche Sprachen werden in der Türkei von wie vielen Menschen gesprochen? Auf diese Fragen gibt es leider keine konkreten Antworten. Der Länderreport von ethonologue.com gibt für die Türkei eine Vielzahl an Ethnien an, die ihre Sprachen noch beherrschen, doch sind diese Daten zum Teil recht veraltet.

So gibt das Ethnologenportal die Zahl der in der Türkei gesprochenen Sprachen mit 34 an.

Im europäischen Teil der Türkei verzeichnet die Seite 11 Sprachen. Dies sind Albanisch, Armenisch, Gagausisch, Bulgarisch, Domari, Griechisch, Ladino, Pontisch, Romani, Serbisch und Tatarisch. Von diesen Sprachen ist lediglich das Gagusische eine Turksprache.

Im asiatischen Teil der Türkei werden von ethnologue.com 23 Sprachen gezählt. Dies sind Abaza, Abchasisch, Adyghe (Tscherkessisch), Arabisch, Azeri, Krim-Türkisch, Dimli (Kurdisch), Georgisch, Hértevin (Chaldäisch), Kabardisch (Tscherkessisch), Kasakisch, Kirgisisch, Kurmandschi (Kurdisch), Kumykisch, Kurdisch, Lasisch, Ossetisch, Turkmenisch, Turoyo (Syryani), Uighurisch, Usbekisch. Von den für die asiatische Türkei genannten Sprachen sind Azeri, Krim-Türkisch, Kasakisch, Kirgisisch, Kumykisch, Turkmenisch, Uighurisch und Usbekisch reine Turksprachen.

Welche Sprache fehlt hier? Das in der Türkei als verbindliche Verkehrssprache installierte "Istanbul-Türkisch". Die meisten der oben genannten Minderheitensprachen werden nur noch mündlich tradiert. Doch woran liegt das? Die türkische Staatsräson hat sich eine Vorstellung vom türkischen Staatsbürger zu eigen gemacht, die vornehmlich auf Sprache und Religion beruht. Ausgehend von dem Modell Frankreichs hat man in der Türkei in den vergangenen 80 Jahren versucht, die ethnischen Unterschiede über die türkische Sprache zu minimieren. Die Sprache wurde somit zum "melting pot" der türkischen Assimilationsbemühungen.

Dieses Vorhaben scheint bei vielen Minderheiten geglückt zu sein. So sind die türkischen Abchasier, Albaner, Bosniaken, Tscherkessen, Georgier, Lasen, Pomaken und Tataren mittlerweile fester Bestandteil des nationalen kulturellen Geflechts, wenn auch um den Preis des Verlusts vieler ihrer kulturellen Eigenarten.

Ein weiterer Bestandteil des Türken-Ideals ist die islamisch-sunnitische Religion. Dieses Konstrukt wird bisweilen unter Verlust der ethnischen, d.h. insbesondere der sprachlichen und kulturellen Dimension, akzentuiert. So weist der Historiker Ilber Ortayli von der Galatasary-Universität darauf hin, dass im Zuge des Bevölkerungsaustausches zwischen der Türkei und Griechenland 1924 viele ethnische Türken, die Christen waren, nach Griechenland emigrieren mussten, und viele ethnische Griechen, die Muslime waren, in die Türkei übersiedeln mussten.

Zu den Verlierern dieser Staatsräson zählen zweifelsohne die Kurden und die Aleviten. Diese beiden Gruppen muss die Türkei endgütlig für sich gewinnen. Eine Türkei, die sprachliche und religiöse Freiheiten auch für jene Bürger realisiert, die nicht in dem seit 80 Jahren zementierten Modell des Protobürgers verortet werden können, kann nur gewinnen. Dazu muss die Türkei kein Bundesstaat werden und muss sich nicht verbiegen. Andernfalls läuft sie jedoch Gefahr, dass sie an den gesellschaftlichen Polarisierungen zerbricht. In manchen türkischen Feuilletons und Kolumnen geistert schon lange das Wort von der "positiven Diskriminierung" herum. Gemeint ist hiermit die Möglichkeit gesellschaftlicher Teilhabe ohne den Verlust der kulturellen Identität.

Welchen Weg die Türkei auch einschlägt, sie muss die Scheuklappen wegwerfen und sich der kulturellen Schätze ihrer Bürger annehmen.

1 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Lieber Emre, vollkommen richtige Analyse!

Auch ich denke, dass die Türkei sowohl auf die Kurden als auch auf die Aleviten zugehen und diese, wie Du so schön gesagt hast, "für sich gewinnen" muss. Die Türkei muss sich endlich eingestehen, dass es nichts genutzt hat, seit über 80 Jahren die ethnischen und religiösen Unteschiede ihrer Bürger zu verkennen.

Dies bedeutut ja nicht, dass man die Türkei zerschlagen soll. Ganz im Gegenteil, auch ich glaube, dass eine solche Türkei nur gewinnen würde.

Auch die Türkei steht vor einem großen demographischen Wandel und muss das Potenzial dieser Menschen für die gesellschaftliche Partizipation nutzen. Am besten macht sie dies, indem sie Unterschiede fördert, und nicht bestraft.

Danke für Deinen Mut, die Wahrheit zu sagen.